Kapitel 10 - Gehet hin und vermehret Euch

Das "Gehet hin und vermehret Euch" war wohl (wenn überhaupt von jener Instanz ausgesprochen, in deren Namen es zitiert wird) im Prinzip für alle Lebewesen gemeint. Sie alle haben den Drang zur Erhaltung ihrer eigenen Art. Die Menschen haben ihn am stärksten von allen Lebewesen. Sie vermehren sich nicht nur im umgekehrten Verhältnis zu den vorhandenen Möglichkeiten; sie betrachten vielfach auch noch den Rest der Natur, soweit er ihnen nicht nützlich ist, als auszumerzende Konkurrenz.

Es ist eine glückliche Tatsache, daß es auch Menschen gibt die, wenn sie auch in der Minderheit sind, sich nicht nur des Nutzens wegen für Flora und Fauna einsetzen, sondern auch der Schönheit der Schöpfung selbst wegen und aus der Überzeugung, daß alles was lebt ein Recht zu leben hat. Allerdings schafft das oft Gegensätze und Probleme, Beispiele wie Wildreservate versus Landbau, Wälder und Strände versus Tourismus sind bekannt.

Von solchen Gegensätzen merkten wir vorerst allerdings nicht viel. Bei uns gab es unangetastete Schönheit als tägliche Augenkost und fast natürlich schlich sich da auch der Wunsch zum "vermehret sie" ein. Dieser Wunsch war erfüllbar geworden, da meine schon früher erwähnte Freundin Gré Jebbink den Abessinierkater "Nigella Simba" aus England hatte kommen lassen. Er hatte inzwischen die Kapazitäten eines erwachsenen Katers. Der Besuch von unserer Cleoni erfreute ihn "tatkräftig" und hatte das Resultat, daß Cleoni am 6. September 1962 vier wunderschöne Abessinierbabys bekam.

Das erste Abessiniernestchen war natürlich eine Sensation und gab Grund zu vielen "Ach wie süß"-Ausrufen. Wir hatten trotz des Mäuseabenteuers uns die vielseitigen Warnungen zu Herzen genommen und sicherheitshalber einen provisorischen Käfig gebaut, in dem die Kleinen in den ersten Wochen verblieben.
Die beiden Wildkatzen konnten die Jungtiere zwar sehen, ihnen aber nicht zu nahe kommen. Cleo durfte, wann immer sie wollte, heraus, aber sie machte wenig Gebrauch davon. Sie war eine großartige Mutter und pflegte ihre Babys liebevoll. Buena und Candy nahmen lebhaften Anteil und bewunderten den Nachwuchs durch's Gitter.

Später haben wir uns wegen unseres Mißtrauens den beiden Wildkatzen gegenüber geschämt. Sie hätten auch ohne Maschendraht den Kleinen nichts getan, das hat sich viel später herausgestellt. Eins der Cleo-Kinder, die schöne, kleine Anuschka, blieb später bei uns.

Auch Dalila hatte uns schon einige Male laut und deutlich zu erkennen gegeben, daß sie "eine unbestimmte Sehnsucht" fühlte. "Denkst du, daß Simba später auch einmal Vater von roten Babys werden könnte?" fragte ich Gré. Sie sah sich den Stammbaum von Simba an und bezweifelte, daß er rote Vorfahren hätte. "Aber wunderschöne wildfarbige Babys würde sie von ihm haben können und die ihrerseits würden dann wohl das "Rot" von Dalila weitergeben", dachte sie.

Das waren so unsere ersten Schritte auf dem Wege zur Vererbungslehre. In Wirklichkeit war grade bei den Abessiniern alles doch etwas komplizierter. An einem eigenen Abessinierkater bestand also kein Bedarf, weil es Simba gab, der seine Sache sehr gut gemacht hatte. Nun schrieb aber Mrs. Winsor eines Tages, daß sie jetzt grade ein bildschönes kleines rotes Abessinierkaterchen hätte. Das war eine große Versuchung, aber ich blieb stark wie immer, wenn's gar nicht anders geht, und schrieb den gebräuchlichen "Wie-schön-für-Sie-Brief" und sonst gar nichts.

Zwei Wochen später schrieb Mrs. Winsor dann wieder ganz stolz, daß "Tranby Red Sothis" nun an eine französische Dame verkauft worden sei, die Dalila auf der Ausstellung in Paris gesehen habe. In einigen Wochen würde er herübergeschickt werden.

Das freute mich für Mrs. Winsor und für die roten Abessinier im allgemeinen. Nur kam vierzehn Tage später wieder ein Brief aus England: die französische Dame wollte Sothis nun doch nicht haben, denn sie wüßte nicht, ob die rote Rassevariation der Abessinier wohl je in Frankreich "anerkannt" werden würde und "nur so", sozusagen "un-anerkannt", nein, das doch lieber nicht. Daß man grade zu der Zeit in England mit der Anerkennung der roten Abessinier beschäftigt war, das war wohl nicht bis nach Frankreich durchgedrungen.

Damals gab es noch keine Anti-Diskriminierungsgesetze für Menschen (für Tiere gibt es die auch heute noch nicht) und so konnte ich ungestraft: "Typisch französisch" denken und schrieb umgehend: "Darf ich bitte Sothis kaufen?" -

In Schiphol saß mein alter Freund am Schalter. Er ließ mich lange warten, diesmal. "Was macht der Zoo?" fragte er. "Der ist mein Zuhause", antwortete ich und er sah mich stirnrunzelnd an. Das war das letzte was ich von ihm gesehen habe, beim nächsten Mal war er nicht mehr dort. Das war wohl zu anstrengend, mit all den Verrückten, die da ihre Tiere abholten.

Aus den Lautsprechern tönte ein Lied, das damals populär war: "Roses are red, my love". Mit dem Lied ist für mich für immer die Erinnerung an die erste Begegnung mit dem kleinen Sothis verbunden geblieben. Etwas verhaltener, aber mit derselben Zärtlichkeit wie Dalila kam er mir im "Dierenhotel" entgegen.

- Ach, und jetzt habe ich auf einmal das Gefühl, daß ich alle Worte von Begeisterung und Bewunderung bei der Beschreibung der anderen Tiere schon verbraucht habe. Dabei war er ein so zärtlicher, sanfter und anhänglicher kleiner Kater, unser Sothis. "Sugar is sweet, my love, but nothing was as sweet as you, Sothis. Du bist unvergessen."

Daran, daß es Probleme bei der Einbürgerung eines neuen Familienmitgliedes geben könnte, dachten wir längst nicht mehr. Sothis war schnell bei uns zu Hause. Mit Cleos Babys spielte er, als ob er ihr größerer Bruder wäre. Vor allem Dalila, die ihn wohl der Farbe wegen an seine Mutter erinnerte, wurde seine Bezugsperson unter den Katzen. In den dreißig Jahren, in denen ich Rassekatzen verschiedener Farbe hatte, ist mir immer wieder aufgefallen, daß Tiere derselben Farbe sich zueinander hingezogen fühlen, auch dann, wenn sie nicht miteinander verwandt sind.

Buena und Candy beschnüffelten Sothis erst einmal ausführlich und danach bestand ein Wettstreit, wer mit Sothis im Körbchen oder bei ihm auf dem Stuhl liegen durfte. Spürten sie mit ihrem noch unverdorbenen Instinkt, daß es sich hier um das erste männliche Mitglied der Katzenfamilie handelte? Jantje, Panda, Vosje und Scampolo waren natürlich längst kastriert.

An Sothis' Verhalten erkannten wir, wie viel Katzen von einander lernen. Sein Umgang mit Buena war von auffallendem Einfluß auf ihn. Er war ein ausgesprochen guter Kletterer und machte Sprünge wie Buena sie nicht besser machte.

Aber noch würde Sothis nicht zum "vermehret sie" beitragen, er war einfach noch ein weiteres Baby mehr in der Familie. Das "Gehet hin.." ist auch nur im übertragenen Sinne passend. Es sind die Menschen, die "hingehen". Unsere Tiere, wenn sie es gut bei uns haben und sie uns lieben, sie bleiben bei uns, wenn man sie nur läßt.

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