Kapitel 8
Kapitel 8 - Die großen Katzen
Tiger! Tiger! Flammenpracht!
In des Waldes dunkler Nacht,
Wo die kühne Meisterhand,
Die sich dieses unterstand,
Daß die Gluth sie angefaßt,
Die du in den Augen hast.
Ward aus Himmel oder Höll"
Ausgeschöpft die Feuerquell?
Alles wie aus einem Guß!
Welche Hand! und welcher Fuß!
Wo die Esse, die so stolz,
Dieses Hirn aus Erz dir schmolz!
Aller Wesen letzter Tag
Tiger ist dein,
Was du anfaßt, das ist roth,
Was du angefaßt, ist todt.
Tiger, Tiger, fürchterlich!
Der das Lamm schuf schuf er dich?
Als Wilhelm nach der Menagerie zurückkam, vernahm er schon lautes Brüllen. Im Vorplatz wurden große Stücke Fleisch zerschnitten; diese wurden sodann vertheilt, und Wilhelm weidete sich an der Freßbegierde der Thiere, an ihren scharfen Zähnen und an den wilden Tönen, welche sie dabei ausstießen. Man warf das Kätzchen in des Löwen Käfig; es zitterte, und Wilhelm dachte schon, das große Thier werde seiner Angst bald ein Ende machen und es unter seiner Riesentatze ersticken. Aber nein! der Löwe schien es gar nicht zu bemerken, es konnte ganz sicher bei ihm leben; wenn er es nicht aus Zufall zertrat, mit Willen that er es gewiß nicht. Kätzchen verlor auch wirklich bald alle Angst; es leckte von dem blutigen Fleisch, welches der Löwe zur Mahlzeit erhielt das arme Thier mußte ja auch sehr hungrig sein; der Löwe ließ es sogar geschehen, daß es ein kleines Stückchen fraß, und als es gesättigt war, zeigte es sogar Lust, mit dem Schweif des Königs zu spielen, wie es mit Mlle. Gogo"s Mützenschleife gespielt hatte.
Als nun die Thiere gefüttert waren, räusperte sich der Menageriebesitzer, und indem er mit einem Stock nach den verschiedenen Käfigen deutete, gab er mit lauter Stimme folgenden Bericht. "Sie sehen hier, meine Herrschaften, den großen Löwen aus Bengalen. Er ist einer der größten, die man je in Europa gesehen hat, indem er 9 Fuß lang und 5 Fuß hoch ist. Seine prächtige Gestalt, sein fester Blick, sein stolzer Gang und sein furchtbares Gebrüll zeugen von seiner Kraft. Seine ungeheure Muskelstärke verräth sich durch die großen Sprünge die er macht, um auf seine Beute zu stürzen und durch das Schlagen seines Schweifes, womit er einen Ochsen zu Boden werfen kann. Sein gewöhnlicher Gang ist langsam und würdevoll; er pflegt blos zu laufen, wenn er verfolgt wird. Hinter Gebüsch und Rohr verbirgt er sich und lauert auf das vorübergehende Wild, welches an einer nahen Quelle zu trinken pflegt; mit einem ungeheueren Sprunge stürzt er über dasselbe her, indem er seine Krallen tief in dessen Seiten schlägt und mit seinen Zähnen dessen Hinterschädel zerbricht. Wenn er im Sprung seine Beute verfehlt hat, so läßt er sie laufen und versucht nicht, sie zu verfolgen, sondern legt sich abermals auf die Lauer. Hat er sich satt gefressen, so legt er sich nieder und schläft zwei bis drei Tage, bis der Hunger ihn wieder aufweckt. Wenn der Löwe unter eine Heerde geräth, so tödtet er Alles, was ihm vorkommt, selbst wenn er gesättigt ist. Sein Muth ist nicht so groß, als man glauben möchte; er greift nur kleinere und schwächere Thiere an, und wenn er sich in den Bereich der menschlichen Wohnungen geschlichen hat, so kann man ihn mit einigem Lärm oder auch mit einer brennenden Fackel verjagen. Indem er die Haut seines Gesichts und vorzüglich die Stirnhaut mit großer Leichtigkeit bewegt, kann er den Ausdruck seiner Physiognomie sehr oft wechseln und ihr den einer furchtbaren Wuth geben, welcher durch die Beweglichkeit seiner Mähne, die er emporsträuben und nach allen Richtungen hin wenden kann, sehr erhöht wird. Die Löwin ist kleiner, ruhiger und feiger, als der Löwe, doch wenn sie Junge hat, ist sie furchtbarer als er, indem sie sich dann auf Menschen und Thiere ohne Unterschied stürzt, sie tödtet und ihren Kleinen zuträgt, denen sie bei Zeiten lehrt, das Blut zu saugen und das Fleisch zu zerreißen. Der Löwe säuft wie ein Hund. Sein Gebrüll ist so stark, daß man es des Nachts in der Wüste für Donner halten könnte; er stößt es täglich 5 bis 6 Mal aus, besonders häufig, wenn Regen zu erwarten steht. Wenn der Löwe Menschen und Thiere zusammen findet, so fällt er lieber die letztern an, es sei denn, daß ein Mensch ihn schlägt, bei welcher Gelegenheit er den Beleidiger gewiß schnell herausfindet. Der Elephant, das Rhinozeros, der Tiger und das Nilpferd sind die einzigen Thiere, welche ihm Widerstand leisten können und welche er auch gern vermeidet, wenn er kann. Das Fleisch des Löwen hat einen unangenehmen starken Nachgeschmack; doch essen die Neger es gern. Der Löwe gehört dem Katzengeschlecht an, man vergleiche ihn nur mit dem kleinen Kätzchen, welches ihm Gesellschaft leistet. Beide haben 30 scharfe Zähne, beide Pfoten mit langen starken Krallen, die sie nach Belieben einziehen und herausstoßen können; beide haben denselben Bau des Kopfes und tragen denselben Raubthiercharakter.
Der Tiger gehört ebenfalls zum Katzengeschlecht. Während der Löwe als erstes unter den fleischfressenden Thieren gilt, ist der Tiger das zweite. Ihm fehlt die Würde des Löwen; er ist immer blutdürstig und fällt gern die Menschen an. Ihm fehlt auch des Löwen edler Anstand; sein Körper ist zu lang, seine Beine zu niedrig; das Haupt hat keine Mähne, die Augen sind unstät und die Zunge blutroth; er ist von einer unersättlichen Blutgier, von einer empörenden Grausamkeit beseelt; sein einziger Instinkt scheint eine stete Wuth zu sein, welche ihn oft so weit verblendet, daß er seine eigenen Jungen frißt und deren Mutter zerreißt, wenn sie dieselben vertheidigen will.
Glücklicher Weise sind diese Thiere nicht sehr zahlreich und blos auf das heißeste Klima Ostindiens beschränkt.
Wenn der Tiger irgend ein großes Thier, z. B. ein Pferd oder einen Büffel getödtet hat, so zerreißt er es nicht an der Stelle der That, sondern er schleppt es in die Tiefe des Waldes mit einer Leichtigkeit, daß die Schnelligkeit seines Laufes gar nicht durch die Schwere des Gegenstandes gehemmt zu sein scheint. Der Tiger ist vielleicht das einzige Thier, das man nicht zähmen kann; er ist immer bös, sowohl wenn man ihn gut, als wenn man ihn schlecht behandelt. Nicht Gewohnheit, nicht Zeit vermag ihn zu bändigen; er zerreißt die Hand, welche ihm Nahrung reicht, wie die, welche ihn schlägt und alles Lebendige erscheint ihm nur als erschaffen, um seine Beute zu werden. Die Tigerin wirft wie die Löwin 4-5 Junge, und ihre Wuth steigert sich bis zu einem entsetzlichen Grade, wenn man dieselben raubt.
Der Panther gehört ebenfalls zum Katzengeschlecht. Er sieht wild aus, hat ein stets unruhiges Auge; seine Bewegungen sind heftig und seine Stimme gleicht der eines wüthenden Hundes. Die Zunge ist rauh und sehr roth; die Zähne sind stark und spitzig, die Krallen hart und scharf. Das Fell ist schön, mit schwarzen ringelartigen Flecken besäet. Der Panther gleicht an Gestalt und Größe einer Dogge von guter Raçe, nur mit kürzern Beinen.
In Persien und andern Theilen von Asien pflegt man den Panther zur Jagd zu benutzen, ohne ihn jedoch zähmen zu können, denn er verliert nie seinen wilden Charakter und wenn man sich seiner bedienen will, bedarf es großer Mühe, um ihn abzurichten und noch größere Vorsicht, um ihn auszuführen und zu benutzen.
Die Unze ist zahlreicher und weiter verbreitet als der Panther. Sie lebt gewöhnlich in Arabien und im südlichen Asien; man bedient sich ihrer dort zur Jagd, weil in den heißen Ländern Asiens die Hunde selten sind. Die Unze hat indeß den Geruch nicht so fein wie der Hund und kann das Wild nicht nach seiner Fährte verfolgen; auch würde es nicht im schnellen Laufe verfolgen können, sondern jagt nur nach dem Gesicht und kann sich nur aus dem Hinterhalt auf ihre Beute stürzen und sie niederwerfen.
Der Leopard hat dieselben Gewohnheiten und denselben Charakter, wie der Panther, aber man kann ihn nicht so leicht zähmen; er bewohnt den Senegal und Guinea, wo man ihn sehr häufig findet. Panther, Unze und Leopard bewohnen nur die hintersten Landesstrecken von Asien und Afrika; sie halten sich am liebsten im dichten Walde und am Ufer der Flüsse auf oder auch in der Nähe entlegener menschlicher Wohnungen, wo sie den Hausthieren auf dem Wege nach der Quelle gern auflauern. Sie fallen selten Menschen an. Leicht erklettern sie Bäume, von deren Zweigen sie auf ihre Beute herabstürzen. Obgleich sie meistens sehr mager sind, so gilt ihr Fleisch doch als Leckerbissen für den Reisenden.
Wilhelm wendete bald sein Interesse von dem Bericht des Menageriebesitzers ab und den Affen zu, welche auch gar zu lustig anzuschauen waren. Sie befanden sich in einem großen Bauer, worin sie unaufhörlich umhersprangen. Ueberall gab es allerliebste Affengruppen. Hier flöhte eine alte Aeffin ihr Kind mit mütterlicher Liebe; dort wickelten sie einige Bonbons aus Papierhüllen und grinzten freudig über den Fund. Manche balgten sich, andere schaukelten sich in großen Ringen, die mit Seilen aufgehängt waren, oder sie wiegten sich in Zweigen, die man im innern Raum des Bauers angebracht hatte. Wilhelm meinte immer, diese Thiere müßten Menschen sein, weil sie so menschliche Bewegungen zeigten.
Was ihn aber mehr als alles andere an diesen Affenbauer fesselte, das waren die zahllosen Kinder, welche umherstanden und im Anschauen vertieft nicht Acht hatten auf ihre Habseligkeiten. So war es dem kleinen Taschendieb schon gelungen, einige Taschentücher und einen wohlgefüllten Arbeitsbeutel zu rauben und in seine Rocktasche zu verbergen.